Da Grönland bereits zwei Nationalhymnen hat, gilt dieser Song nun als die inoffiziell dritte. Nur die Band Piitsukkut gibt es nicht mehr. Für das Rockmusical „Palasi“ wird sie von einer jüngeren Generation gecovert. Das Publikum springt schnell von den Sitzen. In Karaoke-Manier wird der Song von der aufgehenden Sonne an die Wand projiziert. Und während das Publikum – etwa zur Hälfte (die andere Hälfte versteht und spricht nicht Grönlands Sprache Kalaalisut) – inbrünstig mitsingt, kommt auch er auf die Bühne: Hans Peter Kleemann. Unverkennbar seine langen Haare in Regenbogenfarben, traditionelle Inuit-Tattoos, Gitarre – das letzte noch verbliebene Bandmitglied, Jahrgang 1956 und überzeugter Großvater zweier Enkelinnen: „Ich sage immer, die Großeltern sollen die Kinder verwöhnen, die Eltern sollen sie erziehen. Auch er ist ein Kind seiner Großeltern. Er wuchs im Elternhaus der Mutter auf, auf einer Insel im Nordwesten Grönlands. Die Großmutter braute Schnaps: „Nachts, wenn wir einen lauten Knall hörten, wussten wir, dass die Flasche zum Trinken bereit war“, erinnert er sich. Und der Bruder des Großvaters brachte ihm bei, dass man auf Eisschollen nicht spielen soll, und stieß ihn von der Scholle ins eiskalte Wasser. In der Schule war er der einzige Grönländer unter lauter Dänen, wurde gemobbt, ging auf die Sekundarschule ins Städtchen Asiaat und lernte dort auf einer Party den älteren Musiker Maasi Lynge kennen, später der Leadsänger der Band Piitsukkut. „Abends war in der Sekundarschule Ausgangssperre. Wenn die Band spielte, sprang ich vom Fenster herunter und rannte zum Gemeindezentrum, um sie spielen zu hören“, erzählt er. Und er folgte Maasi Lynge, seinem neuen Idol, nach Qaqortoq, ganz in den Süden von Grönland. Hier war immer Partytime. Auch die maoistisch geprägte Partei Inuit Ataqatigiit war gerade gegründet und organisierte mit dem heutígen Mastermind hinter der „Palasi“-Produktion, Aqqaluk Lynge, das Sommercamp in Aasivik. Auch der Musikproduzent Karsten Sommer, gebürtig in Straßburg, vom Pass her Däne, stieß dazu. Seine ULO Records führten die Band Piitsukkut zum Erfolg. Karsten Sommer erzählt gern von diesem legendären Sommercamp, dem traditionellen Sammelplatz der Inuit, der dazu diente, ihre Wintervorräte anzulegen. 1979 wurde daraus ein Ort, um auch „Wintervorräte für den Kopf” anzulegen, sagt er. Mit Musik, die politisch und vor allem wütend genug war, um das Land nicht länger den Dänen zu überlassen.
Der alte Song der Band Piitsukkut, „Palasi“ (“Priester”), beginnt so: „Wir hörten einen, der unsere Sprache nicht sprach. Er streckte seine Hände aus und wartete auf unsere“. Der Rest des Lieds kritisiert schonungslos die Kirche für ihre Rolle bei der Kolonialisierung der Inuit: als ein Kampf der Kulturen. Dieser Kampf war noch nicht zu Ende. Auf der einen Seite standen Hans Peter Kleemann und seine rebellischen Mitmusiker, die ihre Kunst als „brand new political anti-colonialist art in Greenland“ bezeichneten. Auf der anderen Seite stand die Kirche, die heftig protestierte und der es mit Hilfe staatlichen Drucks gelang, dass die einzige Radiostation, KNR in Nuuk, das Lied zwei Jahre lang nicht spielen durfte. Jetzt ist dieses Lied der Titel eines ganzen Rockmusicals.
Dessen Handlung besteht wesentlich darin, das in Grönland sehr beliebte Motiv des Kampfes des Schamanen gegen den Prediger, des Naturglaubens gegen den Monotheismus, wie einen Glaubenskampf auf Augenhöhe zu verniedlichen.So macht es auch Grönlands große Schauspielerin und Dramatikerin Makka Kleist, deren Duo, „The Shaman and the Priest“, ebenfalls frei nach Hans Egedes Missions-Tagebüchern und persönlichen Erinnerungen der Inuit, von Hanne Trap Friis als Kammerspiel in Aarhus auf die Bühne kam. Hans Egede wirkt offenbar wie ein kollektives Trauma. In „Palasi“ tritt ein Chor der Inuit auf einer Videoleinwand auf, die das Orchester verdeckt. Das Orchester ist die eigens aus Tromsø angereiste Arktisk Filharmoni. In der Bühnenmitte steht als Nachbildung die Statue von Hans Egede – „Come to Daddy“ steht wie gesprayt auf ihrem Sockel. Nach der Errichtung des Monuments dieses protestantischen Missionsarbeiters aus Pappmaché folgt als Höhepunkt – zum oben zitierten Song „The Sun“ – die lichttechnische und akustische Sprengung des Denkmals.