„The Romeo“ – das Unmögliche denkbar machen
„Ich hörte Tania Bruguera sagen, es gehe in ihrer Arbeit um das Unmögliche. Und ich dachte: Das ist es, das Künstler:innen tun können. Ich glaube nicht, dass Kunst alles ist. Wenn wir Krebs haben, braucht wir einen Arzt. Aber Kunst kann unsere Hoffnung am Leben halten, dass wir eines Tages Krebs heilen können. Die Menschheit braucht Glaube und Hoffnung. Zum Beispiel hätte ich mir nie vorstellen können, dass wir einmal in einer Welt leben würden, in der wir Genderfragen diskutieren und Gender neu zu denken versuchen, wie wir das heute tun. Es gäbe da viele andere Beispiele. Kunst kann in unser Nervensystem eindringen und unser rationales Denken durcheinanderwirbeln, kann unsere Sinne durchschütteln und uns Dinge denken lassen, die wir möglicherweise bisher nicht gekannt haben, und wir fangen an, an Dinge zu glauben, für die wir noch keine Sprache haben. Kunst lässt uns das Unmögliche glauben. Wie wir daran glauben müssen, dass der schreckliche Krieg in der Ukraine ein Ende finden wird, auch wenn wir uns nicht vorstellen können wie. In meiner Arbeit suche ich immer nach Unmöglichkeiten. ‚The Romeo’ ist eine davon, wir wissen ja, dass dieser Tanz nicht möglich ist.“
„The Romeo“, Trajal Harrells jüngste Zürcher Arbeit, ist die Vision von einem Universalitätstanz, der über die Generationen hinweg von Familien und Freund:innen weitergegeben wurde. So erklärt Harrell in den Q&A in einem Flyer, der dem Publikum vor der Vorstellung verteilt wird: Alle können diesen Tanz tanzen, auch wenn er sich im Lauf der Zeit in verschiedenen Kontexten verändern mochte. Man brauche bloss seine Nachbarn oder Verwandte zu fragen, vielleicht würden die ihn vormachen. „The Romeo“ ist ein einfacher Tanz geworden, einfacher als viele der Tänze aus den vorhergegangenen Stücken. Und er ist deutlich fröhlicher als die Trauermärsche auf dem Laufsteg in „Monkey off my Back …“, „Deathbed“ und im Salon des Hauses der Bernarda Alba.
„’The Romeo’ ist durch die ganze Welt gereist und eine totale Erfindung. Wir kommen auf dieser Linie zusammen. Und die Leute sind berührt und glauben an etwas. Und dieses Gefühl tragen wir in die Welt hinaus und das mag uns verändern und den Menschen die Energie geben, etwas zu tun. Das ist der kleine Beitrag, den ich als Künstler leisten kann.“
Was folgt als Nächstes? Welche Themen brennen Trajal Harrell neben Genderfragen und dem Vermächtnis des Kolonialismus so in den Füssen, dass er sie auf die Bühne bringen will? Schwäche.
„Ich interessiere mich für Schwäche. Das kommt von meinen Butoh-Forschungen. Wie stellen wir Schwäche dar? Wie repräsentieren wir die Schwachen, die Verletzlichen? Und zwar nicht nur psychisch Geschwächte. Sondern, Leute, die schwach sind und nicht über genügend Belastbarkeit verfügen, durch das Leiden zu kommen. Ich versuche dem in meinem Tanz Raum zu geben. Im Tanz geht es meistens um Stärke, um zu zeigen, wie stark man ist, wie gut man etwas kann. Was passiert, wenn man seine Schwäche zeigen muss? Das interessiert mich im Moment.“