Die Unfähigkeit zu helfen

Die Unfähigkeit zu helfen
Die Tamadia Dance Company aus Burkina Faso auf einer Bühne ihrer Heimatstadt Bobo-Dioulasso

Alle Fotos: Helena Waldmann

Burkina Faso ist eins der ärmsten Länder, in Afrika und in der Welt. Hier findet, trotz Militärputsch, ein Tanzfestival statt, das seinen Gästen tiefe Einblicke in die Mentalitäten der afrikanischen Tanzszene erlaubt. Hier wird gestritten, auf offener Bühne, es wird getanzt und es werden neue Partnerschaften geschmiedet. Europa hat dieses Festival bezahlt – um sich dieser Szene auf Augenhöhe zu nähern.

Fahrt durch Bobo-Dioulasso

Afrika für FortgescaDie Unfähigkeit zu helfenhrittene

Am 24. Januar 2022 ereignete sich in Burkina Faso der achte Militärputsch. Das ist eine Menge Aufruhr für ein westafrikanisches Land, das 1960 von Frankreich unabhängig wurde. Vier weitere, weil gescheiterte Putschversuche sind da gar nicht mitgezählt. Das trockene Land, angeschlagen von Dürre, Korruption und einem in Kanada monetarisierten Goldabbau, ächzt unter den Angriffen der Dschihadisten aus dem nördlichen Mali. Militär ist nötig, um die überwiegend muslimische Bevölkerung vor radikalisierten Warlords zu schützen. Und doch schwappen ihre Wellen – nach dem Abzug französischer Truppen aus Mali – immer weiter über die staubigen Landesgrenzen hinweg.

Bobo-Dioulasso, die Handelsstadt im Süden von Burkina Faso, wird von der islamistischen Gruppierung Katima Macina heimgesucht. Gerüchte, dass sie bereits den Verbindungsweg zur Hauptstadt kontrolliere, gibt es ebenso oft wie jene, dass sie nur wenige Kilometer von der Stadt entfernt in umliegenden Dörfern ihr Unwesen treibe.

Bobo-Diolassou scheint sicher. Als sein Zentrum gilt wahlweise der Flughafen mitten in der Stadt oder die zweitgrößte Garnison des Landes. Die hier stationierten Soldaten leben hinter einer mit Stacheldraht bewehrten Betonmauer an der alten Eisenbahnverbindung nach Abidjan. Zwischen dieser Hafenstadt der Elfenbeinküste und Bobo-Diolasso werden dürre Rinder und grüne Bohnen gegen fette Fische aus dem Atlantik getauscht.

In dieser Garnison neben der Eisenbahn wird getanzt. Ein Paar aus Europa ist zu Gast: Anamaria Klajnšček aus Slowenien, die in Deutschland, in Mainz, Mitglied der dortigen Tanzkompanie war, und ihr Partner Magí Serra aus Barcelona. Nach der Vorstellung posieren sie für Fotos mit den Kommandanten.

Tanzen im Militärcamp, das erinnert an das Fronttheater der Weltkriege, an die „kulturelle Truppenbetreuung“ für kämpfende Einheiten. Damals sollte der Alltag der Soldaten angesichts der Brutalität des Krieges, auch der nervtötenden Langeweile, durch Theater ein ziviles Antlitz erhalten und kleine Fluchten bieten. Von derlei Tradition will und kann Aguibou Bougobali-Sanou nichts wissen.

Aguibou Bougobali-Sanou ist ein Tänzer, hier aus Burkina Faso. Mit seinen Rastalocken und einem stets gewinnendem Lächeln im Gesicht will er vor allem ein guter Gastgeber sein und der europäischen Kompanie ein möglichst großes Publikum bieten. Woher nehmen, wenn nicht aus der Kaserne? Gut zweihundert Soldaten im zivilen Outfit erwarten das Tanzpaar – Höhepunkt des kleinen Festivals „In and Out“ in Bobo-Dioulasso. Zweihundert Zuschauer: Nie würden sich so viele zum Tanz einfinden, etwa in dem für Weltmusik reservierten Kulturzentrum „Les Bambous“, auch nicht im ummauerten Areal des Institut français und schon gar nicht im kleinen Hof einer von Slowenien unterstützten Bibliothek.

Die Unfähigkeit zu helfen

Er ist ein Tänzer, hier aus Burkina Faso. mit Rastalocken und einem stets gewinnendem Lächeln im Gesicht. Er will er vor allem ein guter Gastgeber sein und der europäischen Kompanie ein möglichst großes Publikum bieten. Woher nehmen, wenn nicht aus der Kaserne? Gut zweihundert Soldaten im zivilen Outfit erwarten das Tanzpaar – Höhepunkt des kleinen Festivals „In and Out“ in Bobo-Dioulasso. Zweihundert Zuschauer: Nie würden sich so viele zum Tanz einfinden, etwa in dem für Weltmusik reservierten Kulturzentrum „Les Bambous“, auch nicht im ummauerten Areal des Institut français und schon gar nicht im kleinen Hof einer von Slowenien unterstützten Bibliothek.

Anamaria Klajnšček und Magí Serra tanzen in einem schlichten Gebäude der Garnison. Sie tanzen ein Ideal: das der Gleichberechtigung, die Balancen einer Partnerschaft. Den Namen ihrer Kompanie, Cossoc, bildet ein Kunstwort. „Cos“ meint auf Katalanisch den Körper, „sóc“ heißt: „Ich bin“. Sie suchen ihr Gleichgewicht, sobald Anamaria Klajnšček ihren Partner auf die Schultern hebt und trägt und er seine die Welt bestaunende Partnerin ebenso hoch unter der Decke zwischen den kreiselnden Ventilatoren gefährlich hin- und her schwanken lässt. Stets sind ihr und sein Körper zärtlich miteinander verbunden.

Eine Dreiviertelstunde lang dauert die Übung, dann dürfen die Burkinabe-Soldaten Fragen stellen: Ob die beiden verheiratet seien? (was sie verneinen). Ob dieses Stück irgendetwas bedeute? („Wir sind alle gleich“, sagen sie). Man sieht den Gesichtern an, wie höflich erstaunt sie sind – und vielleicht auch erotischere Anspielungen erwartet hätten, näher dran am Traum der jungen Männer in ihrer maskulin beherrschten Kaserne. Aber man ist froh um die Abwechslung vom Drill, sieht Kunstfertigkeit, Körperbeherrschung. Bald fällt auch dieser Kommentar: Dass die Ausbildung zum Tänzer deutlich länger dauern müsse als die zu einem Soldaten. Es gibt Respekt, trotz aller Unkenntnis dieser Kunstform.

In Afrika gilt zeitgenössischer Tanz nur als ein weiterer Import aus dem Westen, der zeigen soll, dass ein reiches Europa „Afrika auf Augenhöhe“ helfen möchte. Mit zeitgenössischem Tanz? Ein Witz – obwohl die in Europa bekanntesten afrikanischen Choreograf:innen fast ausnahmslos aus Burkina Faso stammen. Sie haben sich in ihrer Heimat getroffen, um ihrem Land zu helfen.

Was sie vorhaben, wie Afrika dabei tickt und über welche Hürden sie klettern müssen, erzählt diese hier folgende digitale Reportage zu einem Tanz der Konflikte, die Afrika weit mehr beschäftigen als alle Diskussionen um Rassismus und Dekolonialisierung, die in den reichen Gesellschaften sonst geführt werden.

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Afrika ist nichts für Würstchen

Afrika ist nichts für Würstchen

3,12

Tanz in Afrika ist gewagter als anderswo. Denn keiner hilft Keinem. Man sagt auch gerne: Afrika ist nichts für Würstchen. Denn es gibt keine Förderung, keine Versicherung, kaum Publikum. Und doch professionalisiert sich die Tanzszene mit Riesenschritten. Deshalb erfährt man bei einem Besuch in Burkina Faso mehr als nur Dürre und Dschihadisten. Man erfährt auch die Freiheit, die es bedeutet, hier Kunst zu machen.

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