In der Lausitz

Sorben Lausitz
Die Sorbische Volkstanzgruppe Schmerlitz e. V. im obersorbischen Smjerdźaca in der Nähe von Bautzen

Olaf Martens

Sie nennen sich Sorben und Wenden. Ihre Existenz in Deutschlands östlichstem Osten bemerken Fremde oft nur an zweisprachigen Ortsschildern, sobald sie über die sanften Hügel in diese andere Kultur gelangen. Hier wehren sich die Menschen mit kräftigen Tänzen, alten und neuen, gegen den Verlust des Eigensinns.

Freie Autorin und Sprachdozentin aus der Lausitz

Die Lausitz beginnt südlich von Berlin im märchengleichen Spreewald, eine Auen- und Moorlandschaft voller Sagen und Mythen, geprägt von natürlichen Flusslaufverzweigungen und künstlich angelegten Kanälen. Die Stadt Cottbus markiert den südöstliche Rand des Spreewalds, südlich folgt die Mittellausitz mit den Städten Spremberg, Hoyerswerda, Weißwasser, an die sich die landschaftlich hügelige, idyllische Oberlausitz anschließt, die mit Bautzen im Zentrum im sächsischen Dreiländereck mündet.

Die Mittellausitz, Teil des niedersorbischen Siedlungsgebiets, war der Heizkessel der DDR: der Lausitzer Tagebau mit den sich anschließenden Kraftwerken. Ein Gebiet, das regelrecht umgepflügt wurde, geologisch, aber auch sozial.

Ein Sprichwort der hier lebenden Wenden und Sorben sagt: „Gott schuf die Lausitz und der Teufel packte die Kohle hinein“. Der Energiehunger des 20. Jahrhunderts hat 136 Dörfer gekostet, sorbisch-wendische Dörfer. Sie wurden weggebaggert, mit Kirche, Friedhof, Bauernhäusern, Gärten, Tanzsälen, Wirtshäusern, Stallungen und Feldern, alles einfach untergepflügt und ihre Bewohner in die Städte versetzt.

Aus den einst lauschigen, von Handwerk geprägten sorbisch-wendischen Städtchen wurden Wohnstätte, deren mittelalterliche Stadtkerne wie Spremberg, Hoyerswerda und Weißwasser zerfielen. Irgendwo musste man die Dorfbewohner, vor allem aber die für den Braunkohleabbau und seine Verheizung nötigen Arbeitskräfte unterbringen. In Hoyerswerda etwa versiebenfachte sich die Bewohnerzahl in nur 15 Jahren. Noch 1956 zählte das sorbische Städtchen im Lausitzer Urstromtal weniger als 10 000 Einwohner:innen, 1971 waren es mehr als 71 000. Dann, zwanzig Jahre später, folgte die Rolle rückwärts. Heute hat sich die Einwohnerzahl Hoyerswerdas wieder halbiert. Jetzt wird zurückgebaut. Industrieanlagen werden umgewidmet, die Tagebaugruben im großen Stil geflutet. In der Mittellausitz befindet sich Europas größte künstliche Seenlandschaft, umrandet von endlosen Kiefernwäldern auf steppenhaften, einst sorbisch-wendisch bearbeiteten Böden.

Das Sorbische Folkloreensemble Schleife e. V. serbski folklorny ansambl z. t.) bei Weißwasser an der Grenze von Sachsen zu Brandenburg-

Aus diesem Kulturraum, der eine eigene, eben sorbisch-wendische Identität besessen hat und eine vom slawischen Sprachraum bestimmte Bevölkerung beherbergt – in Deutschland spricht man in solchen Fällen gern von einer „Minderheit“ – ist ein Abraum geworden, eine Landschaft, die nun in einen Freizeitpark umgewidmet werden soll. Aber die Kultur, die sogenannte Identität der hier lebenden Menschen, was ist mir ihr geschehen? Zwei Theaterhäuser stehen in diesem weiten Land, eins in Cottbus im Brandenburgischen und eins in Bautzen im Sächsischen. Beide versprechen, für diese kulturelle Identität einzustehen. Doch zwei Bundesländer, und zwei Lausitzen, Ober- und Niederlausitz, helfen wenig bei dem Versuch, einig zu sein bei der Suche nach zeitgenössische Antworten in einer von wechselnder Klimapolitik und konstanter Grenzlage geprägten Landschaft.

Ich bin losgefahren und habe sie gesucht, die Kultur, die zu Zeiten des Nationalsozialismus die Sorben und Wenden bis zur Unkenntlichkeit assimiliert hat und die zu Zeiten des Sowjetzone die heimischen Tänze und Bräuche im Sinne des Arbeiter- und Bauernstaat folklorisierte.

Die Lausitz ist eine Kulturlandschaft. Sie wird sich ihrer Wurzeln zunehmend wieder bewusst. Ich treffe Tänzer:innen, professionelle und Amateure, und werde Zeugin einer ganz anderen Art von Energiegewinnung, die sich aus der kritischen Rückschau in die Geschichte nährt und außergewöhnlich kräftige Tänze pflegt – die sich weiter entwickeln, sich aufladen aus der Vergangenheit und das Selbstbewusstsein der neuen Generation befeuern.

Inspiriert wurde diese Recherche durch Fotografien des Leipziger Künstlers Olaf Martens, der den künstlichen Gegensatz zwischen elitärer Verkunstung und Alltag immer schon als falsch empfunden hat – wie die Tanzenden in der Lausitz es auch empfinden. Seine Fotoserie „Heimat & Tapeten – ein sorbisches Kunstprojekt“ begleitet die Reportage.

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Überleben am deutschen Rand

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Warum die Tänze der Sorben und Wenden nicht nur Folklore sind? Weil es gute, alte Politik war und ist, die Oberlausitzer und Niederlausitzer mit zwei Sprachen, zwei Religionen in zwei Bundesländern so zu spalten, dass sie mehr mit sich selbst beschäftigt waren als ihre eigene Kultur zu behaupten. Ihre erstaunlich wilden Tänze sind nicht nur historisches Relikt, sie sind immer öfter auch Punk, Zeitgeist und Widerstand.

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