Die Freiheit des Theaters wird auf der Straße getanzt

Wegen „Propaganda gegen die Islamische Republik“ wurde dieses Traumpaar, Amir Ahmadi und Astiaj Haghighi, am 29. Januar 2023 zu 10 ½ Jahren Gefängnis verurteilt. Das Vergehen: Die beiden haben am Azadi Square in Teheran getanzt

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Warum haben alle Regierungen des Iran, gestern und heute, so viel Angst vor dem Theater? Ein Heer von Zensoren, die diese Kunst kontrollieren, brachten in den letzten 117 Jahren das Theater nicht um. Theater in Iran darf nicht tanzen, es darf nicht das Volk darstellen und schon gar nicht Regierung und Herrschende. Was geschieht dem Theater und dem Tanz in Zeiten des Aufstands?

“Die Steinigung”, Wandteppich in persischer Ornamentik aus der Serie “Gottesanbeter*innen”

Raman Zaya

In Teheran

Susanne Vincenz

In Iran weiß jedes Kind, dass das Theater ein Dialog ist zwischen Menschen, Kunstschaffenden und dem Staat. In Iran tut man so, als wären es drei unterschiedliche Wesen: das Volk, die Kunst, die Macht. Hier möchte ich die kurze Geschichte eines gewaltigen Missverständnisses erzählen, die so exemplarisch nur in Iran erzählt werden kann. Es ist die Geschichte, wie ein Staat das Theater übernimmt, um das Publikum gegen die Kunst aufzubringen.

Es ist eine tragische Geschichte. Sie beginnt mit der Erfindung des Theaters aus dem Geist der Aufklärung. Und endet mit der Zerstörung der Kultur, der Zerstörung der Öffentlichkeit und folglich des Staats. Dabei ist das Theater nicht gegen den Staat. Theater ist nur grundsätzlich gegen Tyrannei.

Laut Gesetz hat der Staat kein Recht, Theater zu produzieren, sondern er soll das Theater unterstützen. Dass in Iran immer mehr Druck von verschiedenen Institutionen und Positionen auf das Theater ausgeübt worden ist, unterstreicht zunächst nur, dass das Theater mit ideologischen Positionen konfrontiert ist. Genau sie sind sein Problem. Vom harmlosen „Theater als Ausdrucksmittel“ über ein „Theater mit politischen und sozialen Themen” zu einem „Theater als Gesellschaftskritik“ ist es je nur ein kleiner Schritt. Schon wird dem Theater unterstellt, dass es gefährlich sei, so, wie dies auch der Frau unterstellt wird. So wie Frauen sich derzeit der polizeilichen „Führung der Frauen“ entledigen, von der „Gesht Irshad“, der Führungspatrouille, die Recht und Sitte kontrolliert, gerät auch das Theater zunehmend in Gefahr. Wer immer sich der Kontrolle entzieht, ist eine Gefahr. Sagt der Staat.

Die Zensur zwang das iranische Theater dazu, sich nur in allegorischer oder ironischer Ästhetik auf das Leben und die Realität zu beziehen. Um nicht gefährlich zu wirken. Während das Theater im Grunde nichts weniger ist als ein gesellschaftliches Ereignis, wird es dank Verboten und Einschränkungen dazu gereizt, Verbote und Einschränkungen zu umgehen. Damit wird es notgedrungen politisch. Wie alle Menschen, die nicht unterdrückt und entwertet werden wollen.

Die Geschichte des iranischen Theaters, scheint es, ist eine Geschichte der Zensur und der Polizei. Beide sind angesehen als Lehrmeister der Gesellschaft. Beide, Zensur und Polizei, sind hervorragende Instrumente, das Recht durchzusetzen. Das Theater aber, war es nicht von Anfang an dazu gedacht, genau diese Rolle des Lehrmeisters selbst zu spielen? Es wollte Zeitung und Informant, Pädagoge und Unterhalter sein, als ein gesellschaftliches Ereignis, das von der Straße kam und das man nun – aktuell – wieder auf die Straße gesetzt hat.

Warum steht das Theater unter Aufsicht von Erziehungsberechtigten, die es mit einem Handstreich entmündigen können? Warum marginalisiert eine Gesellschaft ihre Kulturschaffenden, wenn nicht deshalb, um die gesamte kulturelle Macht nur auf diese einen Schultern zu heben, die des Staates selbst? Wann sind die Hüter der Kultur wieder die Kultur- und Kunstschaffenden selbst?

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Errichtung der Dar al-Funun-Schule

So, wie damals, 1850. Da begann die Liaison zwischen Iran und dem Theater: mit der Errichtung der Dar al-Funun-Schule. Sie diente vor allem den französischen Lehren, die neben der Pflege traditioneller iranischer Komödien auch Theaterstücke aus dem Französischen übersetzten und Werke vor allem von Molière der Aristokratie, Bildungselite und die Familie des Schahs darboten. Als erster iranischer Dramatiker gilt Mirza Fateh Ali Akhundzadeh (1812-1878). Seine sechs Stück flossen in eine Sammlung namens „Tamshilat“ ein, die in den Jahren 1850 bis 1857 entstanden war. Sie warb exemplarisch für ein Theater als Medium der Gesellschaftskritik.

Tanzworkshop ohne Männer im siebten Stock des Dramatic Art Center, Teheran

Helena Waldmann
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Konstitutionelle Revolution

Teheran im Schatten des Elburs-Gebirges

Susanne Vincenz

Die Konstitutionelle Revolution in den Jahren 1901 bis 1906 führte zur Gründung des ersten nationalen Parlaments in Iran, das diese damals neue Idee mit unterstützte. Theater als ein soziales Instrument mit erzieherischen Aufgaben – das schien ganz im Sinne der europäischen Aufklärung zu sein. Die Dar al-Funun-Schule wurde ein Zentrum unter Hassan Moghaddam (1898-1925, nicht zu verwechseln mit dem „Vater“ des iranischen Raketenprojekts). In einer Rede über das Theater hob er die Notwendigkeit hervor, dass „in Ländern, in denen die Menschen die Bedeutung von Freiheit noch nicht verstehen und es noch nicht die Freiheit gibt, die Wahrheit ausdrücken zu dürfen, das Theater eines der wirksamen Instrumente ist, um die Augen und Ohren der Menschen zu öffnen und neue Gedanken in ihre Köpfen pflanzen zu können.“ Theater sei von entscheidender politischer Bedeutung für die Bildung und die Meinungsfreiheit der Bevölkerung.

Theater sei das Instrument für die öffentliche Aufklärung. Betont man seine gesellschaftliche und kritische Funktion, ist das Theater dazu in der Lage, die Verhältnisse analytisch zu betrachten, auf die Zustände im Land und auf das Dasein des Menschen zu reagieren. Schon Mirza Fateh Ali Akhundzadeh betonte im 19. Jahrhundert diese Rolle des Theaters als ein Werkzeug, um das kritische Denken des Publikums zu rühren, als ein Instrument, das besser sei als Ermahnungen und Predigten, weil die Kunst des Theaters den Geist wecke und das Denken anstachele.

Von wesentlicher Bedeutung seien nur der Inhalt, der Text, die Botschaft, die Rhetorik. Iranisches Theater wird bis auf den heutigen Tag als eine sprachliche, textorientierte Kunst verstanden. Der Körper spiele keine Rolle.

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Ende des 1. Weltkriegs

Als kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs 1918 Iran zu einem Schlachtfeld russischer, britischer und osmanischer Besatzer wurde, begann eine Hungersnot, die zum Tod fast eines Drittels der Bevölkerung führte. Die osmanische Regierung schlug den Aufstand der Nomadenstämme in Buschehr, Khuzestan, Fars, Kurdistan und Kermanshah nieder. Das Parlament, damals noch in Isfahan, wurde aufgelöst und zog nach Teheran. Pest und Typhus traten auf. Es kam zu zahlreichen Aufständen gegen die Aggressoren. Sie schufen die Grundlage für den Putsch 1920 von Reza Shah Khan, dem späteren Oberbefehlshaber der Armee. Nach dem Fall der 130 Jahre alten Qajar-Herrschaft und dem Aufstieg der Pahlavi-Herrschaft im Jahr 1925 erholte sich unter dem Eindruck der Moderne und der nationalen Verwaltung auch das Theater: Nun war es endgültig ein staatliches Bildungsinstrument.

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Gründung eines „Zentrums für Gedankenkultivierung“

1938, mit der Gründung eines „Zentrums für Gedankenkultivierung“, gab es erste Moral- und Propagandastücke. Sie dienten der Förderung des Nationalismus und der Rückbesinnung auf die historischen Wurzeln des Iran – Teil eines großen ideologischen Trends, die die alte Größe paradoxerweise im Übergang zur Moderne zu erlangen hoffte. Es war ein Lehr- und Propagandatheater unter dem Motto „Gott, König, Vaterland“. Das Ziel: eine geistige Einheit der Gesellschaft herzustellen durch einen spirituellen Kampf zur Stärkung des nationalen Geistes durch Reformen und Lehre. Reza Shah Pahlavi ließ Straßen zwischen den Städten bauen, Eisenbahnlinien errichten, sorgte für Strukturen zur inneren Sicherheit und ließ erfolgreich Aufstände und lokale Unruhen niederschlagen. Kultur für ihn war ein Mittel, die Unterschiede zwischen den iranischen Ethnien zu überwinden.

Erstmals wurde die Zensur gesetzlich verankert. Nach dem Vorbild des europäischen Staatstheaters empfand sich die Regierung als Kulturproduzent für die Nation. Es gab Räte, die die Aufführungen überwachen, während der Proben, zur Premiere und bei allen Folgevorstellungen. Der Staat verstand sich als Mittler zwischen Künstlern und Volk, auch gegen den Widerstand iranischer Theaterleute. Man berief sich abermals auf Mirza Fateh Ali Akhundzadeh, nur unter umgekehrter Perspektive: Die Machthabenden verstanden das offizielle Theater als ein Medium für ihre Bildungs- und Propaganda-Show. Dargestellt wurde der iranische Nationalismus in historisierendem Kolorit. Auch Komödien wurden gefördert, zumal die populären „Lalezari“. Die gesetzliche Diktatur im Iran wurde um eine kulturelle erweitert. Und so blieb es bis zum Zweiten Weltkrieg, der Wiederbesetzung des Iran durch britische, sowjetische und schließlich durch US-amerikanische Streitkräfte, die 1941 für die Machtübernahme des jungen Schah Mohammad Reza Pahlavi sorgten.

Die versammelte “geistige Einheit der Gesellschaft”

Susanne Vincenz

“Verschleierte, schießende Frauen”, Wandteppich in persischer Ornamentik aus der Serie “Gottesanbeter*innen”

Raman Zaya
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2. Weltkrieg

Irans Kunsthöhe seines Antiamerikanismus

Susanne Vincenz

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Abzug der Besatzer war es zum ersten Mal möglich, Parteien zu gründen. Auch iranische Theaterleute konnten sich nun frei mit den Theaterformen ihrer Wahl beschäftigen. Ihnen ging es nach wie vor um soziale Fragen und Ideen, wie ein kritisches Theater ein politisches Theater sein könnte. Einer der Protagonisten dieser Zeit war Abdul Hossein Noushin (1907-1971). Als erste Iraner studierte er in Frankreich Theater, am Konservatorium von Toulouse, und übersetzte die Moderne des Theaters, adaptierte und inszenierte es in Iran. Er war Mitglied der marxistisch geprägten Tudeh-Partei und versuchte sich an einem entsprechend kritischen Theater im Dienste der Werktätigen.

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Attentatsversuch auf den Schah

Der misslungene Attentatsversuch auf den Schah 1948 markiert erneut den Beginn von Verhaftungen, das Verbot etlicher Parteien, auch der Theater und sämtlicher Aktivitäten von Gewerkschaften. Es gab einen, wenn man so will, politischen Lockdown. Niemand verließ das Haus, eine Situation, die sich zum ersten Mal schon 1922 während der Rückkehr zur Tyrannei und der Schließung des Parlaments durch Mohammad Ali Shah Qajar ereignet hatte, ebenso nach dem Putsch von 1941 durch Reza Khan.

Das Ehepaar Ahmadzadeh tanzt privat, also legal, in “1001 Nights Apart” der iranischen Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi

Sarvnaz Alambeigi
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Mohammad Mossadegh wird Premierminister

Die Angst vor Risiken: Eine konspirative Tanzkompanie probt in “1001 Nights Apart” der iranischen Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi

Sarvnaz Alambeigi

1951 wurde Mohammad Mossadegh (1882-1967) Premierminister. In seiner Amtszeit von zwei Jahren, bis zum nächsten Putsch am 18. August 1953, gingen die Iraner mehr denn je mit politischer Ambition auf die Straße. Parteien wurden neu aktiviert. Gewerbe- und Kunstinstitutionen arbeiteten und produzierten frei. Der direkte Kontakt Mossadeghs zum Volk war ein Novum. Menschen begannen sich wieder für Partei, Zeitung und Theater zu interessieren. Mossadegh präsentierte das Programm einer „Wirtschaft ohne Öl“ nach dem Beginn des britischen Embargos gegen Iran. Die demokratischen Rechte wurden ausgeweitet, damit einhergehend nahm die Zahl der politischen Aktivisten zu. Es gab erstmals Rechtsfreiheit, etwa das Unabhängigkeitsgesetz der Rechtsanwaltskammer. Es gab eine Sozialversicherung für Arbeitnehmer. Die Pressefreiheit wurde gewährt, ebenso die Versammlungsfreiheit. Mossadegh suchte nach Lösungen, um die unteren Klassen der iranischen Gesellschaft zu stärken und eine Mittelklasse entstehen zu lassen. Was Mossadegh über den Zusammenhang zwischen der politischen Unabhängigkeit des Landes und der politischen Willensfreiheit sagte, nahm das Theater dankbar auf. Denn „Freiheit“ und „Recht“ als nationale Forderung der Iraner waren bislang immer wieder diskreditiert worden. Freiheit sei gleichbedeutend mit Chaos und ein Hindernis für die Stabilität des Rechtsstaats. Despotie sei besser als jedes Chaos. So hieß es. Das Fehlen einer Ahnung dessen, wie Freiheit aussieht, droht immerzu die Tyrannei zu legalisieren, die bürgerliche Freiheiten als abnormal bezeichnet.

Obwohl die Erfahrung der Freiheit und nationalen Unabhängigkeit nur kurz war, führte sie zu einer Stärkung des Theaters und seiner intellektuellen Unterstützer. Wann immer der Ruf nach Freiheit und Identität aufkam, hatte dieser Ruf direkten Einfluss auf die Haltung der Menschen zu ihrem Theater.

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Kräfte im Schatten der Regierenden

Nur eine Gruppe hörte ihn nie: die Unterstützer der Autokraten, die etwa ab 1908 entstanden und sich dadurch auszeichnen, verantwortungslos zu agieren und soziale Strömungen zu unterwandern. Gruppen, die sich in jeder Regierungsperiode anders nannten (mal Luti, Lampan, Chumaqdar, Qamekash, Bimokh oder Sharan). Es sind Kräfte im Schatten der Regierenden, die wie beim Putsch vom 18. August 1953 gewalttätig wie als gerufener Mob, mit Messern bewaffnet, beim Sturz populärer und rechtmäßiger Regierung von Mossadegh die Schlüsselrolle spielten. Diese amorphe Gruppe von Schergen schaffte es regelmäßig, die Rolle der Bevölkerung zu übernehmen, als Empörte und Beleidigte, die mit erstaunlicher Flexibilität jede Krise zu ihren Gunsten wenden, ohne selbst je Verantwortung zu übernehmen. Man kennt dies auch in anderen Ländern.

Dieses Lager spielt die Rolle des Brandbeschleunigers in Zeiten von Unruhe, Instabilität und Veränderung, nach einer Revolution, einem Putsch, einem Umsturz, wenn besorgte Menschen durch die Ereignisse verstört und verwirrt sind. Man findet Angehörige des organisierten Mobs unter Beamten und selbst Offizieren, als sie bei den Wahlen zu Mossadeghs Amtszeit in Uniform bewaffnet auftraten, um Menschen davon abzuhalten zur Wahl zu gehen. Während dieses Putschs von 1953 erschien der Mob in Gestalt des Volkes, so dass der Schah den Putsch als “nationalen Aufstand” bezeichnen konnte. In Wahrheit ging der Mob anstelle des Volkes auf die Straße. Daraus haben die Regierungen in Iran gelernt: Auch das Bild des Volkes als Masse oder Chor auf den Bühnen des Theaters ist verboten.

Man nennt dies die „Verzerrung des Volksbilds“ oder auch die „Verfälschung der sozialen Rolle des Volkes“. Proteste, gespielte wie legitime, sind leicht zu denunzieren.  Stattdessen helfe dem Theater doch eher die „Neigung, Helden zu erziehen“ und eine „sentimentale Sehnsucht nach Vergangenheit“. In beiden Forderungen manifestiert sich der offizielle Kurs des iranischen Theaters. Entweder gibt man sich der Vergangenheit hin, in der man den Schlüssel zur Erlösung heute sucht, oder es werden einsame Helden und Retter dargestellt, ganz ohne Halt in der realen Welt. Beide bilden den denkbar größten Kontrast zu jener alltäglichen Welt, in der das Publikum selber lebt.

Trailer zu “1001 Nights Apart”

Sarvnaz Alambeigi, https://www.youtube.com/watch?v=ZEFVFNoOL3A
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Weiße Revolution

Als 1962 durch die Reformen des Schahs, der sogenannten weißen Revolution, der Boden für eine Expansion der iranischen Mittelklasse geschaffen wurde, ging es aufwärts. Es kam zum Anstieg der Stadtbevölkerung, des Bildungsniveaus und des gesellschaftlichen Wohlstands. Zwischen 1969 bis 1979 gab es erstmals auch eine Tendenz zu neuen Aufführungsformen, in denen nicht die Aufführung des Textes und dessen Kritik das zentrale Mittel des Theaters war, sondern die Form der Darstellung und die Atmosphäre der Aufführung selbst. Diese Randströmung des Theaters, auch postdramatisch genannt, wurde abgelehnt, gerade auch von linken und marxistischen Gruppen. Von der Hoffnung, „das Theater sollte thematisch politisch sein“, wurde nicht weiter abgewichen.

Abgesehen von beliebten Komödianten, den Lalezaris, sind die Gruppen auf den Bühnen der Regierungstheater mal linksgerichtet, mal liberal und manche haben keinerlei politische Neigungen. Alle diese Gruppen teilen miteinander jedoch diese eine Überzeugung, das die Aufführung eines Theaterstücks ein gesellschaftliches Thema klar zum Ausdruck bringen müsse. Und genau diese Klarheit dient der Zensur als ihre Grundlage: denn Zensur braucht eine textbasierte und logische Methode. Beide Seiten teilen dieselbe Idee: Das Theater muss ein Text sein.

Theater so zu betrachten, hat vor allem den Vorteil, ein Theater kontrollieren zu können. Um Zensur zu vermeiden, kamen einige Theatergruppen lediglich zur Einsicht, ausländische Stücke aufzuführen, in denen nicht-iranische Charaktere solche Konflikte zu haben scheinen, die Iran nicht betreffen. Auch wenn sie ein Thema der Zeit waren.

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Islamische Revolution

Freiheit meint in Iran vor allem Schutz vor Blicken. Zeltverkäufer in Teheran

Susanne Vincenz

Mit der Islamischen Revolution 1979 und dem Wandel von der Monarchie zur Islamischen Republik gehen eine Kulturrevolution und die Schließung der Universitäten einher. Bis April 1980, sechzehn Monate lang, gab es eine kurze Freiheit für Theatergruppen, insbesondere für solche, deren Komödien die Monarchie verspotteten, die Dramen über den Schrecken des Sicherheitsapparats der Vorgängerregierung aufführten, und solche, die Revolutionäre und Helden verehrten. Erstmals gab es eine Königstötung auf der Bühne, „Der Tod von Yazdgerd“, geschrieben und inszeniert von Bahram Bayzaei. Nie zuvor war es erlaubt, den König auf der Bühne sterben zu lassen. Auch „Macbeth“ von Shakespeare gehörte stets auf die Liste verbotener Theaterstücke. Nun also durfte gemordet werden. Diese explosive Freiheit hatte das iranische Theater zuvor nur nach der konstitutionellen Revolution und in den Jahren 1941 bis 1948 während der Amtszeit von Mohammad Mossadegh bis zum Putsch vom 18. August 1953 erleben dürfen.

Freiheit meint: Freiheit in der Themenwahl. Soweit ich weiß, gab es in diesen 16 Monaten in Teheran nur eine einzige Inszenierung, die sich die Freiheit wirklich nahm. Die Performance, die nicht in einem herkömmlichen Theater stattfand, trug den Titel „Abbas Agha Kargar Iran National“ und wurde von Saied Sultanpour (1940-1981) inszeniert. Auch wenn Gegner die Aufführungen störten, waren sie die wohl progressivsten dieser Zeit, weil sie eine neue Beziehung zwischen Zuschauern und Aufführung herzustellen versuchten: mit einer frischen Erzählform, die mit echten Dokumenten arbeitete und jede Form von Fiktion vermied. Die Radikalität der Inszenierung wurde kaum bemerkt, da es in dieser kurzen Phase der Freiheit des Theaters nicht so sehr um ästhetische Erneuerung ging, sondern um die Forderung nach Gewerkschaften und Interessenvertreter des Theaters. Sie fehlen bis heute.

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geschlossene Schulen und Universitäten

Drei Jahre lang blieben die Universitäten und Theater geschlossen. Es herrschte Krieg mit Irak, mit Saddams Armee, was eigenen Probleme mit sich brachte. Die Wiedereröffnung der Universitäten im Jahr 1985 und ein Studententheaterfestival führten eine große Gruppe neuer Schriftsteller:innen, Schauspieler:innen und Regisseur:innen an das Theater heran, die sich zu den intelligentesten und fortschrittlichsten Künstlern des iranischen Theaters entwickeln sollten. Zwischen 1985 und 1990, während der Krieg noch andauerte, versuchte Mirhossein Mousavi, der letzte Ministerpräsident des Iran, der seit 2009 unter Hausarrest steht, eine Plattform für die Reanimation des Theaters zu schaffen. Er lud Künstler:innen ein, die nach der kulturellen Revolution vertrieben oder ins Exil gegangen waren. Daraus entstand das „Schauspielforum“: Erstmals gab es dafür einen eigenen Haushaltstitel. Das Forum forderte die Unabhängigkeit des Theaters von der Regierung. Die Regierung Mahmoud Ahmadinedschad, des sechste Präsident des Iran (2005-2013), löste 2006 das Forum widerrechtlich auf.

Der Basar ist das alte Zentrum der iranischen Gesellschaft

Susanne Vincenz
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Amtszeit von Akbar Hashemi Rafsanjani

Während der Amtszeit von Akbar Hashemi Rafsanjani in den Jahren 1990 bis 1998, der Herrschaft der Technokraten, wurden Kultur und Theater keine Priorität mehr zugeordnet. Es war eine dunkle Zeit. Viele Theater waren geschlossen. In den wenigen, die dennoch öffneten, wurde gestört. Theaterschaffende wandten sich dem Fernsehen und Kino zu, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

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Amtszeit von Seyyed Mohammad Khatami

Helena Waldmann: “Letters from Tentland”

Herbert Cybulska

Die Regierungszeit von Seyyed Mohammad Khatami, 1998 bis 2005, ermöglichte abermals eine kurze Blütezeit. In acht Jahren wurden iranische Theatergruppen zu internationalen Festivals eingeladen und allererste gemeinsame iranisch-europäische Produktionen, so Helena Waldmanns „Letters from Tentland“, bereiteten den Boden für das Wachstum der Generation, die in den 1980er Jahren geboren, damals als Kinder auf den Schultern der Eltern ihre ersten Theatererfahrung gemacht hatten. Zu ihnen zählen Samne Zandingad, Panthea Panahi, Ali Asghar Dashti, Reza Tharvati, Amir Reza Kohestani (“Dancing on Glasses”), Golzar Hazfi, Hamid Pourazadi, Maryam Mohammadi, Ali Schams, Ashkan Khelnejad, Farzaneh Maidani, Mohammed Mosawat, Yusef Bapiri, Tanaz Tabatabai, Mortezi Ismailkashi, Pegah Tabsinejad, Mehdi Mashhur, Jaber Ramezani, Armin Javan, Ava Sharifi, Ramin Akbari, Hamed Asgharzadeh, Negar Javaherian, Shahab Agahi, Narges Behroozian, Bahar Katouzi, Kayhan Parkhemi, Tahereh Hezaveh, Shakiba Bahramian, Mohammad Reza Aliakbari, Keyvan Sarrashte, Mafham Nazhtshar, Shima Mirhamidi, Milad Shajreh, Hamed Rasouli, Majid Aghakarimi, Bita Kharstani, Jalal Tehrani, Mojtaba Karimi, Naghme Manavi, Golareh Raihani, Nazanin Zahra Rafiei, Homayoun Ghanizadeh, Saeed Behnam, Azadeh Ganjeh …

Sie alle verweigerten sich dem Mainstream des textbasierten Theaters und suchten nach einer neuen Körpersprache, neuen Aufführungsformen, einem neuen, atmosphärischen Austausch mit dem Publikum.

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Straßenproteste

2009 gab es Straßenproteste gegen die Präsidentschaftswahlen: Wieder erlebte das Theater eine neue Welle des Drucks. Willkürlich wurden Vorstellungen untersagt, Künstler durch Sicherheits-, Militär- oder Justizbehörden verhaftet. Diese Institutionen kontrollierten in den Folgejahren die Kultur, um Druck auf politische Rivalen der Regierung von Hassan Rouhani auszuüben. Unter Ebrahim Raisi, seit 2021 im Amt, ist Kultur der Regierung ganz und gar ein Dorn im Auge. Im Februar 2022 wurden junge Menschen aus der Modern-Dance- und Choreografie-Szene von Sicherheitsbeamten verhört. Sie mussten auf Instagram bekanntgeben, dass sie dieser Kunst nicht mehr nachgehen und auch niemanden mehr ausbilden werden. Soziale Frustration und zunehmender Druck auf das Theater und seine Überwachung führten 2022 dazu, dass Theatergruppen reihenweise ihre Aufführungen absagten. Eine verantwortungsvolle Reaktion der Kulturvermittler blieb aus.

Stummer Straßenprotest der Studierenden der Akademie der schönen Künste in Teheran, Dezember 2022

Fotograf:in

“Die Erhängten”, “Wandteppich in persischer Ornamentik aus der Serie “Gottesanbeter*innen”

Raman Zaya
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Tanzende Menschen im November 2022 in der Stadt Rasht am Kaspischen Meer

Aktuell schrumpft die Mittelschicht weiter, die Unterschicht verarmt. Was unter Ahmadinedschads Regierung begann, manifestiert und intensivierte sich ab Mitte 2021 in galoppierender Inflation, immer höheren Preisen und steigender Armut, aber auch im explosiven Wachstum der bürgerlichen Oberklasse. Während für die Mehrheit die Kaufkraft zur Befriedigung auch nur der Grundbedürfnisse auf ein Drittel absank, führte der international diskutierte Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini (2000-2022) nach ihrer Festnahme durch die Polizei im September 2022 dazu, überhaupt kein Theater mehr zeigen zu können. Stattdessen verwandelten sich die Straße im Zuge der iranischen Frauenbewegung und ihres Slogans „Frauen, Leben, Freiheit“ zum Ort der Protest-Performance. Die Straßen sind nun das Theater. Eine Politik, die die Kultur des Iran bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und Künstlerinnen und Künstler bewusst ausgrenzt, musste unweigerlich zum Protest führen. In einen Zeitraum von 13 Jahren, von 2009 bis 2022, wurde dem Theater mit zunehmendem Druck verboten, sich über jegliche Probleme und Themen zu äußern, von denen die iranische Gesellschaft geplagt ist.

Die Schließung des Theaters ist konsequent das Ergebnis von staatlicher Zensur, auch von inkompetenten, ängstlichen oder ignoranter Kulturverantwortlichen mit zweifelhafter Geschmacksauffassung. Wie leben in einem solch instabilen, engen und stark zerbrechlichen kulturellen Umfeld, in dem die Rolle des Künstlertums in der iranischen Gesellschaft derart denunziert worden ist, dass nunmehr Ängste und Zweifel über die Notwendigkeit und das Wie und Warum von Theater geschürt werden konnten. Der iranische Frauenprotest hat dies nach dem Berufsverbot für Choreografinnen und Tanzkünstlerinnen im Februar 2022 sichtbar und bewusst gemacht: Das Problem ist nicht der Text. Das Problem ist: der Körper.

Die Forderung nach der Freiheit des Körpers in den Protest-Performances dieser Generation iranischer Männer und Frauen enthält eine klare Botschaft für die Zukunft: Die Forderung nach einem wahren Bild iranischer Frauen und Männer, auch und gerade auf der Bühne. Umstellt von Tabus und Verboten, war es gerade dem zwischen 1990 und 2000 geborenen Publikum kaum möglich, je überhaupt an einem Bühnengeschehen teilnehmen zu können. Für diese Generation gab es kein Amateurtheater, keine Möglichkeit eines Freiraums, keine Förderung, was weder Kulturvermittlern noch den Leitern kultureller Institutionen, selbst Fachleuten des iranischen Theaters bewusst war oder in ihre Verantwortung zu fallen schien.

Und wieder wütet bei diesen Protesten auch der Mob auf Seiten der Regierung und an der Seite der Polizei gegen die Protestierenden, aggressiv und ohne Verantwortung, wie schon vor hundert Jahren in Zeiten der despotischen Schahs. Vor ihren Augen erobern Bürgerinnen und Bürger die Straße mit Parolen und aktivistischen Performances, die auf keiner Bühne geduldet wären. Sie bringen die Politik direkt auf die Straße, als die einzige Arena, in der Menschen als Menschen auftreten können. Gerade für das Theater ist das ein Schock. Nie wieder wird es nach diesen Ereignissen von seinem Publikum verlangen können, sich zensierte Stücke und Körper in einem Theater anzusehen. Die Bühnen werden gezwungen sein, ihre Einstellung zur Gesellschaft und die Form und Art der Aufführung neu zu erfinden.

Es ist ein Zeichen für ein Ende und zugleich für einen Anfang. Wer heute die Proteste von Frauen und Jugendlichen im Iran und die Freiheit als Chaos bezeichnet, kehrt wissentlich oder unwissentlich zu einem Missverständnis über die Rolle des Theaters von vor 117 Jahren zurück. Aber es gibt Gerüchte: Die Beziehung zwischen Publikum und Theater wird sich verändern, neue Räume werden sich öffnen für menschliche Körper, politische Körper, soziale Körper, natürliche Körper, urbane Körper, moralische Körper, denkende Körper, poetische Körper, technologische Körper, stille Körper, sprechende Körper … für einen freien, für sich selbst verantwortlichen Kulturkörper.

Farhad Mohandespor

Farhad Mohandaspour

ist Direktor und außerordentlicher Professor der Schauspiel-Regie-Abteilung, Fakultät für Kunst und Architektur, an der Tarbiat Modares Universität in Teheran

Dieser Beitrag wurde möglich durch die Hilfe und Übersetzung von Farhad Payar und Raman Zaya