Tanz den Aufstand

Den Aufstand tanzen
So lieben es die Mullahs: Frau neben Frau, züchtig in einen Hijab gehüllt, vor einem sie schützenden Zelt am Strand des Kaspischen Meers.

Susanne Vincenz

Aufstände in Iran gibt es immer wieder. Aber jetzt, zum ersten Mal, tanzen die Frauen auf der Straße. Schon seit 1979 ist ihnen das Tanzen verboten. Ihr Kopftuch, der Hijab, fällt. Ihre Hände greifen es wie eine Fahne im Widerstand. Sie setzen es in Flammen. Iran ist in Aufruhr, aus Hunger. Nach Essen und Freiheit. In einem Staat, der mit bürokratischer Gründlichkeit seine Schergen und Kontrolleure am Leben hält. Und seine Henker.

Shervin Hajipour

Shervin Hajipour, ein junger, wie in sich gekehrt wirkender Lockenkopf, kennt jede und jeder in Iran, wegen seines sehr einfachen Lieds, wegen der Freiheit, die sein Lied besingt, und wegen des ersten Satzes, mit dem dieses Lied beginnt:

Wegen der Angst, auf der Straße zu tanzen

„Wegen der Angst, auf der Straße zu tanzen
Wegen der Angst, sich auf der Straße zu küssen
Wegen meiner Schwester, deiner Schwester, unseren Schwestern
Wegen der verkommenen Denkweise, die sich nun ändert
Wegen der Scham, kein Geld zu haben
Wegen des Traums vom normalen Leben
Wegen des Straßenkinds und seiner Träume
Wegen der korrupten Wirtschaft
Wegen der verschmutzten Luft
Wegen der Vali-e-asr-Straße und seiner sterbenden Bäume
Wegen des Pirooz-Geparden und seiner Ausrottung
Wegen der unschuldigen getöteten Straßenhunde
Wegen der Tränen über unsere Situation
Wegen der Menschen, die in dem ukrainischen Flugzeug starben
Wegen des Lächelns auf unseren Social-Media-Profilen
Wegen der Studenten und der Zukunft aller
Wegen der Genies, die inhaftiert sind
Wegen der afghanischen Kinder
Wegen dieses endlosen Wegens
Wegen der hasserfüllten Slogans in den Schulen
Wegen der schlecht gebauten Häuser, die wegen Korruption zusammenbrechen und so viele Menschen töten
Wegen des friedlichen Lebens
Wegen der Sonne nach so vielen langen Nächten
Wegen der unzähligen Depressionen und der Schlaflosigkeit
Wegen des Menschen, des Mutterlands, dieser ganzen Entwicklung
Wegen der Mädchen, die unterdrückt werden, dass sie sich wünschen, Jungen zu sein
Wegen der Frau, des Lebens, der Freiheit
Wegen der Freiheit
Wegen der Freiheit
Wegen der Freiheit“

„Frau, Leben, Freiheit“ („Zan, Zendegi, Azadi“) ist die Parole in der Islamischen Republik. Sie wird dem System, dem „Nezam“ entgegengebracht, abends zur Sperrstunde in Chören aus den Fenstern gerufen und tagsüber während der Proteste und Zusammenstöße gegen die zivilen und uniformierten Sicherheitskräfte. Es sei eine feministische Revolution, sagt der Westen. Es ist ein Revolte gegen das Patriarchat der Mullahs, gegen das System einer Schutzmacht im Namen Allahs. Jetzt tanzen die Frauen.

Tanz in Iran ist verboten. Den Beruf der Tänzerin gibt es nicht. Die Choreografin nennt sich Regisseurin. Wer sich bewegt, tanzt nicht, sondern übt „Motion“. Erstmals in der langen Geschichte der Revolte in Iran gibt es wieder Tanz. Auch die Rolle des Theaters in diesem Land wird er neu definieren. Davon ist unser Autor überzeugt. Er ist Direktor und außerordentlicher Professor der Schauspiel-Regie-Abteilung an einer Fakultät für Kunst und Architektur in Iran.

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Die Freiheit des Theaters wird auf der Straße getanzt

3,18

Warum haben alle Regierungen des Iran, gestern und heute, so viel Angst vor dem Theater? Ein Heer von Zensoren, die diese Kunst kontrollieren, brachten in den letzten 117 Jahren das Theater nicht um. Theater in Iran darf nicht tanzen, es darf nicht das Volk darstellen und schon gar nicht Regierung und Herrschende. Was geschieht dem Theater und dem Tanz in Zeiten des Aufstands?

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