Tanz und Rassismus – Erstmals wurde in Deutschland ein farbiger Tänzer geehrt: Raphael Hillebrand. Einer, der eine Grenze überwunden hat: zwischen Urban Dance und zeitgenössischem Tanz. Die Ressentiments aber bleiben. Und Fragen: Wie kommt ausgerechnet das Theater auf die Idee, für Antirassismus zuständig zu sein?
Theater oder zumindest die, die es leiten, loben ihre Häuser und Ensembles gern als tolerante Freiräume des Experiments und ließen schon in den 1990er Jahren schmucke Transparente an die Fassaden ihrer Bunker hängen, um zu verkünden, wie viele Mitglieder ihres Ensembles aus wie vielen Nationen der Welt stammen. Mit diesem multikulturelle Potpourri wollten sie beweisen, das Europas Theater so viele Nationen unter ihren Dächern beschäftigen wie es Länder auf der Welt gibt.
Man sei grenzenlos offen – auch für andere Diskurse, die bald folgten: gegen Blackfacing, für eine Dekolonialisierung und für die Gleichstellung der Frau. In den Ensembles tobt seit je eine Lust, die sich einst «Mitbestimmung» nannte: Heute habe man eine Vorbildfunktion für die «wahre Demokratie». Frauen, Männer und Diverse mögen Hand in Hand selbst die Verantwortung übernehmen für ein ehrwürdiges Theaterschiff, das nichts weniger darstellt, als ein großer Gegenentwurf zum autoritären und irgendwie ungerechten Staat. Was immer im Großen auch schief geht – Migration, Nationalismus, Rassismus und Integration: Die Theaterbetriebe, die alimentierten Bühnen und die vom Steuergroschen sich ernährenden Kompanien stehen tapfer auf gegen das Unrecht – und dies in einem ganz und gar klassischen Sinn: im Namen der Aufklärung und weil Gegenbilder schon immer das tägliche Brot der Theater gewesen sind.
Dass ein Tänzer, noch dazu ein Urbaner Tänzer, wenn auch ein studierter, dass einer wie Raphael Hillebrand, den man weit eher eine Berliner Schnauze mit dem Herz am rechten Fleck nennen will, wenn so einer in der Provinz von Oldenburg und Chemnitz in zweiter, dritter Reihe choreografieren darf, sogar Hip-Hop, lässt dies vermuten, man tue dies nicht zuletzt in Hinblick auf den ausbleibenden Nachwuchs in den eigenen Publikumsreihen. Wenn einer wie Hillebrand als Beweis dienen möge, wie weltoffen man als Theater sei, darf es auch niemanden stören, wie sehr man im gleichen Atemzug betont, in erster Linie der eigenen Region im Geester Land oder im Erzgebirge verpflichtet zu sei. Denn das Theater ist ein regionaler Versorger regionaler Produkte, die man heute auch klimafreundlich inszeniert, indem man fremde Tänzer ausschließlich auf den Schienen des öffentlichen Fernverkehrs herantransportiert. Man will dreifach gut sein: Gut zum Bürger. Gut zur Kultur. Und gut zum Zeitgeist. Gut zu sein, ist die erste Pflicht im Wettbewerb aller Produkte. Und das Theater: ist ein Produkt.
Ein Produkt muss sich abgrenzen, genauso, wie eine Grenze Länder trennt. Unübersehbar verläuft so eine Grenze zwischen Bühne und Parkett. Eine weitere verläuft zwischen den Sparten des Theaters selbst, weil die einen Oper, die anderen Tanz, die dritten das Schauspiel lieben. Selbst Fachzeitschriften werden in diese Kategorien unterteilt, als ob nicht alles am selben Ort stattfinden würde. Das Publikum erlebt Schlagbäume überall, schon vor den Theatern. Wer die Eintrittskarte nicht online erwirbt, steht Schlange an einem Schalter, hinter dem eine Autorität sich durch beschränkte Öffnungszeiten und ein beschränktes Kartenkontingent schmückt, wobei man diese Beschränkung mit verlockenden Vorteilen für Abonnenten, Studierende und Minderbemittelte zu mildern versucht. Man sei sozial und hat überdies die Macht, den Nachweis der Bedürftigkeit sehen zu dürfen, um dank des durch den Schalterschlitz gereichten staatlichen Dokuments einen Nachlass zu gewähren oder auch nicht.