Trauma und Turbulenz

Tanz auf der Grenze: Jenny Ecke auf Dylan Quinn

DQDT

Konflikte kann man ausdiskutieren. Oder austanzen. Körper sagen oft mehr als Argumente. Und viel über diese Insel, die sich Irland und England teilen. Eine künstliche Grenze, die Iren von Iren trennt. Der Choreograf Dylan Quinn erhebt sie zur Kunst.

Michael Seaver
Tanzkritiker der Irish Times

Irgendwann sind die Tanzschaffenden weg vom Tanz. Nur wenige überleben nach ihrer Bühnenkarriere in der Tanzpädagogik, in der Choreografie, durch eigene Schulen oder bleiben, etwa als Coach, in der Nähe des Theaters. Wer das Theater verlässt, macht trotzdem weiter, nutzt den Körper, im bestbezahlten Fall in der Medizin. Oder in therapeutischen Berufen, Osteopathie, Pilates, Yoga … Auch eine zweite gefragte Gruppe macht in Gesundheit, der psychischen. Konfliktmanagement heißt die Wahl. So absolvierte der nordirische Tanzprofi Dylan Quinn sein Friedens- und Entwicklungsstudium im fernen Castelló de la Plana bei Valencia in Spanien. Obwohl auch im Vereinigten Königreich jede Menge Studiengänge zur Konfliktforschung angeboten werden. Nach hunderten Jahren Kolonialgeschichte weiß man auch in England sehr genau, was Kolonialismus, sprich: künstliche Grenzen und künstlicher Nationalismus, so alles anrichtet.

Dylan Quinn vor dem Haus seines Großvaters im nordirischen Enniskillen

Liberty Studios/Sarah Little

Dylan Quinn, als Tänzer ausgebildet an der renommierten Northern School of Contemporary Dance in Leeds, hat sich sehr bald engagiert für Initiativen wie „Theatre in Prisons and Probation“, „ActionAid Ghana“ oder in der „Peace Education“ in Sheffield. Ein Tänzer, der mit Tanz vielleicht nicht heilen, aber doch etwas mehr als nur Applaus oder Bewunderung bewirken will.

Etwas zu verzollen? Wo denn? Die grüne Grenze auf der grünen Insel

Dylan Quinn

Kaum fertig studiert, kehrt er zurück in seine Geburtsstadt, nach Enniskillen in Nordirland, gut 130 Kilometer von Belfast entfernt, in der Nähe der grünen Grenze zur Republik Irland. Diese Grenze, die quer durchs Land verläuft, tut so, als sei Irland ein geteiltes Land wie Deutschland es früher einmal war. Als Jugendlicher in den 1980er Jahre erlebte Dylan Quinn die Zeit, die hier „The Troubles“ genannt wird: die Explosion von Bomben in seiner Kleinstadt, den Kriegszustand zwischen Iren und Iren. Iren aus dem Norden gegen Iren im Süden. Hier die sogenannten armen Katholiken, dort die angeblich wohlhabenden Protestanten. Ein Konflikt, der nie zu einem wirklichen Bürgerkrieg auswachsen wollte. Bis zur Befriedung der „Troubles“ im Jahr 1998 waren einfach zu wenige bereit, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Aber niemand blieb unbeteiligt. Dylan Quinn durchschaute schnell, welche Auswirkungen diese Abgrenzung, die Segregation auf die Menschen hat. Bis heute. Grenzen sind Gift, sagt er. So wie es der Nationalismus ist. Seither braut er vor Ort ein wirksames Gegengift. Aus purem Tanz.

Weiterlesen …

Der Grenzgänger

3,45

Dylan Quinn tanzt auf der Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich – in einem ständigen Wechselschritt zwischen Nord und Süd

… oder gleich als Lover kostenlos weiterlesen