Die Neue Indigene Welle

Indigener Tanz
Jagdzauber: die Dancers of Damelahamid

Anna Springate-Floch

Rituale, Älteste, Ahnen und sehr viel Land. In den Coast Salish Territorien im Nordwesten Kanadas lebt ein zeitgenössischer indigener Tanz auf: ringsum das erst 1886 gegründete Vancouver. Lange war der indigene Tanz hier verboten. Jetzt dreht sich der Wind.

Redakteurin „Dance International“

Scott Gudahl

In der Provinz British Columbia mit Vancouver im Zentrum wurde ein Großteil des waldreichen Lands, das die ersten europäischen Entdecker so beeindruckte, gerodet und erschlossen. Die verbleibenden Flächen sind bedroht. Immer höhere Beton- und Glastürme besetzen das Land, das sich verzweifelt bemüht, Platz für die ständig wachsende Bevölkerung zu finden. Während des Höhepunkts der Pandemie rieten führende Gesundheitsexpert:innen den Einwohner:innen Vancouvers, sich in der freien Natur aufzuhalten, um ihr geistiges und körperliches Wohlbefinden wiederherzustellen und zu stärken. Die wenigen verbliebenen Plätze waren prompt überfüllt, was zur Einführung von gebührenpflichtigen Parkplätzen und zeitweise auch zu einem Reservierungssystem für den Besuch der Natur führte.

Lukas Kloeppel

Viele stellen den Status quo dieser Politik, dieser Gesellschaft und auch ihrer Kunst in Frage. Blickt man zurück auf scheinbar ruhigere, grünere Zeiten, fragt man sich: Wie sähe unsere Welt aus, wenn neben den europäischen auch indigene Traditionen gepflegt worden wären? Dazu gehört vor allem das von 1884 bis 1951 geltende Verbot des Potlatch, des indigenen Fests des Schenkens und des Totems. Die Tänze und Lieder der Ureinwohner – integrale Elemente der Potlatch-Zeremonie – gingen als Inspiration verloren. Wie sähe auch der Tanz in Kanada aus, wären diese Traditionen der Ureinwohner respektiert worden?

Indigener Tanz ist ein Mittel, um ein Wissen über Generationen hinweg weiterzugeben, aber auch, um herausfinden, wer man selber ist, wer die Verwandten sind: die aus der Vergangenheit und in der Gegenwart. Für eine Gruppe von Tänzer:innen der First Nations und Métis an der Westküste Kanadas ist diese Rückbesinnung auf die kulturellen Tradition eine sehr wesentliche Grundlage für die Entwicklung ihrer eigenen zeitgenössischen Stimme. Viele von ihnen haben europäische Siedlervorfahren. Damit treten sie ein sehr gemischtes Erbe an, das sich auch in ihrer Tanzausbildung widerspiegelt, die von Kindheit an Ballett, Jazz, Stepptanz und Modern, also mehr oder weniger westlichen Formen von Tanz und Wettbewerb umfasst.

Starr Murankos Vorfahren sind Cree, Franzosen und Deutsche

Sophia Mai Wolfe

Der entscheidende, lebensverändernde Teil der Kreativität dieser Tänzer:innen verdankt sich aber dieser indigenen Perspektive. Nach kolonialer Unterbrechung und kulturellen Verlusten bewegen sich die Einwohner:innen durch europäische Formen und Praktiken hindurch und gehen weiter, um Neues und Altes zugleich zu entdecken. Alle verbindet der Wunsch, indigene Identitäten zu stärken und Verständnis für indigene Kulturen zu entwickeln. Sie beraten sich mit Ältesten und älteren Künstler:innen. Das Ergebnis ist eine Blüte von Tanzensembles und choreografischen Werken entlang dieser zum Teil unerträglichen Spannungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Gegenwart, Gemeinschaftsritual und heutiger Theatererfahrung.

Auch wenn es scheinbar wie ein Rückschritt aussieht, arbeiten diese Künstler in einer Zeit, die von ökologischen und sozialen Herausforderungen geprägt ist: von einer globalen Pandemie, dem Klimawandel und einer wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Ich habe ein halbes Dutzend bekannter und weniger bekannter Kompanien in den Coast Salish Territories nach ihrer Geschichte befragt, nach ihrem künstlerischen Denken und ihren ästhetischen Prinzipien. Ich fand Geschichten, die berühren, Haltungen, die mich nachdenklich machen und auch eine Protesthaltung gegen ein auch in der Kunst längst übliches Weiter so.

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Der Geist des Tanzes

3,14

Kanadas Westküste ist weltbekannt für seinen Potlatch – ein Ritual, in dem benachbarte Stämme sich gegenseitig mit immer wertvolleren Geschenken überhäufen. Lange verboten, scheint der Sinn dieses Festes heute rätselhaft. Dabei sind materielle Verausgabung und die immaterielle Verausgabung im Tanz ein Paar. Die Nachkommen bleiben dem Sinn auf der Spur – eine Reise zu einer modernen Zivilisation auf der Suche nach ihren Wurzeln

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