Die Lichtburg

Die Lichtburg in Wuppertal
Hier entstand das Werk von Pina Bausch: die Lichtburg in Wuppertal-Barmen

Frank Herfeld

Im Grunde ist es nur ein schlecht gelüfteter, fensterloser Raum, gehüllt in unangenehmes Licht, ein ehemaliges Kino aus der Nachkriegszeit, der Raum, in dem das Tanztheater Wuppertal entstanden ist.

Gelegen ist die Lichtburg an einer lauten Hauptverkehrsstraße im Stadtteil Barmen, eingeklemmt zwischen Video-Peepshow und Burgerkette. Dahinter rattert die Schwebebahn. Die Romantika-Bar zwinkert im Neonlicht („girls, girls, girls“): Die Lichtburg war ein Kino, das Raimund Hoghe, lange Dramaturg bei Pina Bausch „an schlecht besuchte Nachmittagsvorstellungen” erinnerte, „und dass man aus dem Kino wieder rausgeschickt wurde, wenn nicht mindestens acht Leute den Film sehen wollten.“ In den 1970er Jahren machte das Kino dicht. Heute gibt es vorn das Schnellrestaurant. Daneben, hinter einer unauffälligen Tür, geht’s die Treppe hoch zum Probenraum des Tanztheaters Wuppertal. Auf dem Dach steht noch immer der Schriftzug: Lichtburg.

Pina Bausch war hier zu Hause, auf schwarzem Tanzteppich, umringt von Ballett- und Kleiderstangen mit abgetragenen Kostümen, großen, rollbaren Spiegeln und Requisiten. Ein Klavier steht an der Seite. In der Mitte vor der Tribüne stand ihr Tisch, von dem sie aus über dreißig Jahre lang ihre Kompanie beobachtete, ein Tisch, unter dem sie auch mal genächtigt haben soll, auf dem immer griffbereit Bleistift, Zigaretten, Thermoskanne, Tempotücher, Brillenetui und Aschenbecher lagen. Über diesen Probenraum, den sie 1977 den Wuppertaler Stadtvätern abluchste, sagte Pina Bausch 2007 anlässlich der Verleihung des Kyoto-Preises: „Wenn ich in die Lichtburg gehe, an einer Bushaltestelle vorbei, dann sehe ich dort fast täglich viele, die sehr traurig und müde aussehen. Diese Gefühle sind in unseren Stücken aufgehoben.“

Die Lichtburg in Wuppertal
Frank Herfeld

Salomon Bausch, ihr Sohn, nennt diesen Ort „magisch“: „Man weiß eigentlich gar nicht, in welchem Jahrzehnt man ist, man weiß auch nicht, ob gerade morgens ist oder abends, tags oder nachts, man weiß nicht, ob Frühling ist oder Winter, all das bekommt man nicht mit.“ Stephan Brinkmann, lange Tänzer der Kompanie, beschreibt den Raum wie ein Kunsthistoriker: „Ein Wasserspender am Eingang ist eine Anschaffung aus neuerer Zeit und lässt ahnen, dass man sich innerhalb dieser Wände verausgabt. Die sind mit verschlissenem, grünem Stoff ausgekleidet und zeugen von vergangener Festlichkeit. Die darauf angebrachten Leuchten wurden jüngst repariert und spenden ein warmes Licht. Das meiste davon kommt aber aus grellen Deckenscheinwerfern“, gerichtet auf die vertrauten Stammplätze, die das Ensemble auf alten Stühlen erobert hat.

Die Lichtburg in Wuppertal
Frank Herfeld

2016 baute die Bundeskunsthalle Bonn zusammen mit der Pina Bausch Foundation die Lichtburg nach, erst in der Bundeskunsthalle, dann im Martin Gropius Bau in Berlin. Der Nachbau war Ausstellungsraum, Pilgerstätte, ein temporäres Denkmal. Aus einem nur für Eingeweihte betretbaren Probenraum wurde ein begeh- und betanzbares Kultobjekt, in dem „die Kostüme noch immer an den Wänden hängen, ihr Tisch und ihr Stuhl noch immer an derselben Stelle stehen“ (Boris Charmatz) – ein Ewigkeitsort, der noch heute vom Ensemble Tanztheater Wuppertal Pina Bausch Terrain Boris Charmatz als Probenort benutzt wird, in dem neue Stücke entstehen oder wieder auferstehen und in dem auch Gäste und Ehemalige sich tummeln, wie Judith Kuckart und Urs Kaufmann.

Diesen beiden, Judith Kuckart und Urs Kaufmann, ist nun eine vortreffliche Erzählung über diesen Ort gelungen, den Urs Kaufmann auf dem effeff kennt, nachdem er zehn Neuproduktionen von Pina Bausch mitgestaltete und in einem Dutzend Repertoirestücken mitwirkte, darunter in 250 Aufführungen von „Nelken“, in 300 Aufführungen von „Le Sacre du Printemps“ und in ebenso vielen Aufführungen von „Kontakthof“ samt dazugehörigen 2500 Proben in der Lichtburg.

Judith Kuckart stammt aus Schwelm, dem Nachbarort von Wuppertal, erlebte Pina Bauschs Arbeiten von früh an, studierte in Essen auf Empfehlung des Tanzpädagogen Hans Züllig, bei dem auch Pina ihr Handwerk gelernt hatte. Danach ging sie zum Choreografen Johann Kresnik, bevor sie ihre eigene Kompanie gründete, das Tanztheater Skoronel in Berlin. Sie wurde eine erfolgreiche Regisseurin und Autorin, veröffentlichte zuletzt „Die Welt zwischen den Nachrichten“ in jenem Jahr 2024, in dem sie auch die Möglichkeit erhielt, für ihr Tanzstück „Von Wandermenschen und Sofamenschen“ die Lichtburg zu nutzen. Die Zusammenarbeit von Judith Kuckart und Urs Kaufmann entführt an diesen legendären Ort bei Nacht. Bei Regen. Die Schwebebahn erschüttert den Stahl. Die Passanten sehen wie bei Pina Bausch noch heute traurig und müde aus. Ein Rolltor. Treten wir ein.

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Drehtüre

In der Lichtburg

3,37

In der Lichtburg entstand das Gesamtwerk von Pina Bausch. Heute bespielt sie eine nächste Generation. Ein Ort, der hellhörig macht für das, was vor den Türen Wuppertals passiert. Draußen regnet es, wie immer.

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