Auf dem Rettenbachgletscher

Auf dem Rettenbachgletscher - tanz.dance Sölden
Unter dem Helikopter durch das Gebirge tanzen: Für Jeanne Procureur ist es eine Premiere, Tomaz Simatovic zeigt ihr als Hannibal, auf was für ein Abenteuer sie sich einlässt

Magdalena Lepka

Es ist Frühling in den Alpen. Die Temperaturen steigen, die Sonne scheint gnadenlos nach dem Schneesturm. Dreihundert Menschen auf Skiern, im Fluggerät, in Pistenbullies, auf Motocross-Rädern, die Tanzenden, alle stehen bereit, um wie einst Hannibal die Alpen zu überqueren. Ein Gefühl von Gefahr liegt in der Luft. Ein Ausnahmezustand?

Es ist ein Ausnahmezustand. Gefühlt und gemessen – es gibt wieder weniger Tanzbühnen. Dafür mischen diejenigen, die über diese Bühnen noch verfügen, sie leiten und verantworten, sich immer öfter ein in die Kunst und bestimmen mit, was sie ihrem Publikum zumuten wollen. Sie bieten ihm Workshops und Trainings, als wäre ein Theaterbesuch so gefährlich wie eine Abfahrt auf den Skipisten eines abtauenden Gletschers. Sie weihen ihre Klientel ein und klären es auf über die Gefahren der Diskurse, die auf ihrer Bühne verhandelt werden. Theater haben immer mehr Personal, das vor der Kunst so schützen soll wie es Wachleute im Museum tun. Kunstschaffende erleben das am eigenen Leib: Was und wie sie etwas zeigen, wird von den Theatern so in Frage gestellt, als trügen alle Tanzenden die Verantwortung für eine Gesellschaft, die sie andernfalls ins Unglück stürzen würden.

Das Ensemble Lawine Torrèn auf einer aus dem Eis gefrästen Pyramide

Lorenz Seidler

Theater ist kein Spielplatz. Es ist eine komplexe Organisation aus Freiwilligen und Unterbezahlten, die für Sicherheit sorgen bei etwas so Riskantem wie dem Genuss von Kunst. Das Vorbild dazu findet sich auf dem schmelzenden Rettenbachgletscher, einem Skigebiet in den Tiroler Alpen auf österreichischer Seite. Alle zwei Jahre überquert Hannibal an dieser Stelle die Alpen, nicht mehr auf Elefanten, sondern mit einem Arsenal von modernen Pistenraupen und Rettungshubschraubern, um das antike Rom zu erobern. Oder das Theater. Diese Performance in 3000 Metern Seehöhe ist kein Naturschauspiel. Sie ist ein Theatermodell inmitten einer Landschaft im Klimawandel, das zeigt, was dem Theater blüht, wenn es weiterhin ein Wagnis auf unsicherem Grund bleiben will. Als wüsste hier jeder, dass dieses Theater in ein paar Jahren nicht mehr existiert. Um so mehr setzen alle alles daran, dass ihr schaulustiges Publikum auf seine Kosten kommt in einer Natur, die sowieso immer die Oberhand behält.

Jeanne Procureur tanzt als Venus unter dem Helikopter

Ernst Lorenzi

Vorhang auf für eine aufregende Geschichte über die Kompanie Lawine Torrèn. Vor schneeweißer Kulisse hat die österreichische Kulturjournalistin Marie-Therese Rudolph recherchiert. Und tief durchatmen müssen, als sie sah, wie diese geölte Theatermaschine sich tapfer dem Klimawandel, den Schneestürmen und einem Publikum entgegen wirft, das gar nicht hinschaut, sondern die Kameras zückt, weil es lieber sehen will, ob die Natur in der sicheren Zweidimensionalität des Abbilds auch noch so imposant wirkt wie in echt.

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Hannibals Traum

3,29

Die Kompanie Lawine Torren ist ein alpines Gewächs – so bergsüchtig, dass man sie in kein Theater sperren kann. Von Motoren so begeistert, dass die Choreografien von Hubert Lepka dröhnen und lärmen, entsteht alle zwei Jahre neu eine Alpenüberquerung hart am Limit für Mensch und Maschine.

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