Niedersorbisch
Eine dieser 5000 Sprecher:innen ist Franziska Albert. Die 39-jährige studierte in Leipzig Sorabistik. Erst da lernte sie Niedersorbisch, als Fremdsprache. Dabei ist sie selber Sorbin/Wendin und hat sich immer für die Sprache interessiert. Sie ging auf das niedersorbische Gymnasium in Cottbus. Dort wurde zwar Niedersorbisch gelehrt, das aber habe wenig zu tun gehabt mit der Sprache, die man in der Niederlausitz sprach.
Heute arbeitet Franziska Albert als Sprachwissenschaftlerin mit Jugendlichen im Cottbuser Umland. In Zusammenarbeit mit dem Niedersorbischen Kulturinstitut, das erst jüngst gegründet wurde, macht sie Freizeitangebote für Jugendliche auf Niedersorbisch. Die Jugendlichen, die Niedersorbisch an den Schulen lernen, sollen die Sprache auch in ihrer Freizeit verwenden. Anders als im obersorbischen Kernsiedlungsgebiet wird das Niedersorbische nicht in den Familien gesprochen. Die Sorben und Wenden in der Niederlausitz sind so gut wie assimiliert. Das heißt, ihre Identität, ihre Sprache ist Deutsch. Niedersorbisch steht auf der Kippe.
Damit die Sprache und mit ihr die Kultur der Niedersorben überlebt, muss sie in die Familien zurück. „Es ist mühselig, weil die Jugendlichen einfach viel zu tun haben, und Deutsch ist allgegenwärtig. Es verlangt ein sich Bemühen, Niedersorbisch wirklich zu sprechen“, sagt Franziska Albert.
Wir treffen uns auf dem Parkplatz vorm Netto in Cottbus. Auch sie tanzt sorbischen Volkstanz. Ihre Gruppe ist in der Region bekannt unter dem Kürzel TEF. Die drei Buchstaben stehen für den Namen TanzErFolk. Früher, zu DDR Zeiten, waren sie das Kürzel für „Tanz-Ensemble Freundschaft“. Die Ursprünge dieser Laientanzgruppe liegen, wie bei den Oberlausitzer Gruppen auch, in der frühen DDR. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber schon auf. TanzErFolk zählt derzeit zwölf Mitglieder, davon zehn aktive. Das Durchschnittsalter liegt bei 50 plus. „Ich bin mit 39 Jahren die jüngste“, sagt Franziska Albert, „und die einzige Sorbin, besser gesagt Wendin.“ Für die anderen ist der sorbische Volkstanz vor allem lokale Tradition. Die Schule, in der das Training stattfindet, liegt am sogenannten Nordrand von Cottbus, hier reihen sich Discounter an McDonalds an Tankstellen an Wohnblöcken, eine Ein- und Ausfahrtstraße, wie sie vielerorts anzutreffen ist, wo Umland in Stadt übergeht.
Franziska Albert kommt von der Arbeit, ein Meeting, das wieder mal länger gedauert hat. In einer Stunde beginnt das Training, vorher muss sie die Tochter nach Hause bringen. Ob ich mitkommen will? Klar. „Franziska“, bietet sie ihr Du an und lächelt breit. Ihre langen braunen Haare sind locker zu einem Zopf gebunden, ein Mädchengesicht, mit einem entschlossenem Kinn und Brille. Parka, Pullover, Jeans. Sie wirkt ein wenig angestrengt, gehetzt und hoch konzentriert. Wir fahren nach Werben, das liegt zwanzig Minuten von Cottbus entfernt.
„Unser Problem ist die Sprache“, sagt sie. „Ich habe ja, wie viele hier, Sorbisch an der Schule gelernt. Ich habe das richtig gerne gemacht. Aber wenn ich in der Familie versucht habe zu sprechen, haben mich meine Großmutter und meine Urgroßmutter immer so komisch angeguckt. Viele Jahre habe ich geglaubt, dass ich es wohl nicht richtig sage.“
Franziska redet schnell, sie hat viel zu erzählen. Die Rede ist von der Urgroßmutter, die ihre Kinder trotz Sprachverbot in der Nazizeit Wendisch erzogen hat, dann aber in den 1960er Jahren doch die Tracht ablegte. Sie spricht von Bibeln auf Niedersorbisch, die schon vor der Nazizeit aus den Häusern der Sorben und Wenden geholt wurden. Und von den Umstrukturierungen hier in der Region. Die Kohle, Bevölkerungsexplosion, Industrialisierung einer ehemalig ländlich geprägten Region, dazu die Kraftwerke, das Energiezentrum und dann deren Zusammenbruch. „Wir haben hier den größtmöglichen Strukturwandel gleich zweifach erlebt, in nur fünfzig Jahren.“ Was blieb, ist das Brauchtum, die Feste in der Lausitz, der Volkstanz, die Musik, die Trachten. „Es ist eine Art uns festzuhalten“, sagt sie. Technisch gesprochen nennt man es „vertanztes Brauchtum“.
Ihr „coming out“ als Sorbin/Wendin habe sie erst mit 18 Jahren gehabt. Zwar habe sie immer gewusst, dass sie aus einer sorbisch/wendischen Familie stamme, „aber das Thema wurde irgendwie gemieden“. Immer wenn sie neugierig nachfragte, habe es so ein betretenes Schweigen gegeben. „Das war total krass. Es gab ja die Fotos, meine Urgroßmutter in Tracht, eine typisch sorbische Hochzeit, das war 1937, da waren ja schon die Nazis an der Macht. Dann, nach dem Krieg, da trug sie immer noch ihre Tracht, aber sie hat sie abgelegt, in den 1960er Jahren.“ Dabei hat man doch in der DDR die sorbische Kultur so gefördert?
„Das Obersorbische schon“, erklärt sie, „aber nicht die Sprache der Niedersorben.“
Die Stadt liegt hinter uns, die Straße ist von Wald gesäumt, ab und zu ein paar Häuser. Wir biegen ab in die Dunkelheit, folgen einem Feldweg. „Dort, wo es am dunkelsten ist, da wohnen wir“, sagt sie und strahlt. Es ist eine sternenklare Nacht, fernes Hundegebell, das Rauschen der Bäume, die Lichter der Autos auf der wenige hundert Meter entfernten Landstraße Richtung Burg. Der Wind zieht über die Felder, die man nur erahnen kann. Es ist ein Moment wie in einer Zwischenwelt. Werben, Franziskas Heimatdorf, ist eins der ältesten Dörfer des Spreewaldes, ein ursorbisches Dorf. Der Name geht auf das sorbische Wort wjerba zurück, was Weide bedeutet.