Die Tänze strahlen eine Lebendigkeit aus, die an der Statik des ungeliebten Reiterdenkmals abprallt, das über ihnen thront und die Statue nur noch monströser erscheinen lässt – obwohl dieses Monument längst aus der Öffentlichkeit verbannt ist. Im Dezember 2013 wurde es im Schutz der Dunkelheit von namibischen Strafverfolgungsbehörden entfernt. Heute steht das Denkmal im Innenhof des Museums Alte Feste. Es wurde „gerettet“, weil einige Historiker die Ansicht vertreten, auch die deutsche Gemeinschaft in Namibia habe ein Recht auf einen Platz im Kulturerbe des Landes. Entfernt wurde die Statue trotzdem. Die direkten Nachfahr:innen der im Völkermord getöteten Nama und Ovaherero sehen in diesem Denkmal nichts als das schmerzhafte Relikt einer sich brutal gegen sie gewandten Vergangenheit.
Yolanda Gutiérrez polarisiert – indem sie Tanz und Krieg aufeinander treffen lässt. Und indem sie die ambivalenten Gefühle hinterfragt, die von kolonialen Statuen und Denkmälern hervorgerufen werden.
Die Absicht der Choreografin: Sie will den Weg für Geschichten ebnen, überlagert von Erfahrungen der Unterdrückung und des Kriegs. Die Performance wird sich später in Deutschland noch einmal wiederholen, bei den Nachkommen der Täter im Baakenhafen, jenem Teil des Hamburger Hafens, von dem aus die deutschen Truppen einst nach Namibia aufgebrochen sind.
Windhoek und Hamburg haben eine gemeinsame Vergangenheit. Die Handelsgesellschaften, die während des deutschen Kolonialkriegs vor dem Ersten Weltkrieg vom Hamburger Hafen aus operierten, haben nicht nur geschäftliche Spuren in Namibia hinterlassen.
Für die Hamburger Kaufleute bildeten so genannte Kolonialwaren und ihr Schiffsanteile an den deutschen Reedereien eine einträgliche Geschäftsgrundlage. Von 1884 bis 1915 war das Deutsche Reich die Kolonialmacht in Namibia und schlug während dieser Zeit zwei Volksaufstände der Herero und der Nama nieder. Hamburg bildete während des Völkermords an der namibischen Bevölkerung die logistische Drehscheibe für den militärischen Nachschub. So profitierten vom deutschen Kolonialismus Unternehmen wie die Hamburger Reederei Woermann. Während des Herero- und Nama-Aufstands transportierte die Woermann-Linie Tausende von Soldaten und Tonnen von Kriegsmaterial in die Kolonie. Ab 1905 unterhielt die Reederei auch ein eigenes Konzentrationslager in Namibia. Seinen Hauptsitz hat das Unternehmen in Hamburg im denkmalgeschützten Afrikahaus. Noch heute.
Kaufleute, die in die von Deutschland annektierte Kolonien kamen, erzielten ihre Gewinne, indem sie mitunter eng verbunden waren mit dem damaligen Reichskanzler des Deutschen Reichs, Otto von Bismarck. Sein Denkmal steht noch heute unübersehbar im Alten Elbpark in Hamburg. Auch dieses werden die Tänzer:innen später als einen ihrer Auftrittsorte wählen.
Yolanda Gutiérrez ist Hamburgerin mit mexikanischer Herkunft. Dekolonisierung sei für sie die Fähigkeit, diese Ereignisse aus einer nicht-europäischen, nicht-westlichen Perspektive zu betrachten und zu reflektieren. So sollen neue und andere Narrative entstehen. Ihr Projekt „Decolonycities“ fülle „Lücken in unserer eigenen Geschichte mit einer anderen Sichtweise auf die Stadt“, sagt sie und hoffe, mit „Decolonycities“ durch performative, tänzerische Interventionen „in Kombination mit Audiowalks eine multiperspektivische Sichtweise im urbanen Raum zu etablieren“, um so die immer noch vorhandenen Spuren des Kolonialismus mit Hilfe eigener biografischer Erzählungen zu kontrastieren.
Im Jahr 2021 gründete Gutiérrez die Plattform „Shape the Future“, auf der sie diese Projekte auch im digitalen Raum präsentiert. Denn: Die permanente Reproduktion kolonialer Klischees und eurozentrischer Perspektiven in Politik, Medien, Kultur und Wissenschaft zeige, so Gutiérrez, dass der Dekolonisierungsprozess noch lange nicht abgeschlossen ist: „Es geht darum, mit Begriffen zu brechen, die behindern, einschränken und reduzieren, Begriffe, die einen auf die Defizite der eigenen Realität festlegen.“ Unterentwickelt, arm, illegal, das sind nur einige dieser Zuschreibungen; „Es geht vor allem darum, nicht mehr als Opfer zu erscheinen, sondern als Subjekt der eigenen Geschichte“, zitiert sie den senegalesischen Musiker Felwine Sarr.